Donnerstag früh, 8:00 Uhr
Ein Facebook Post meines Lauffreundes Ludwig erregt meine Aufmerksamkeit.
„Heute ein bisserl früher: nachdem ich gestern schon im Rangierbahnhof unterwegs war, aber die Strecke etwas mehr „flow“ braucht bin ich heute wieder unterwegs auf den kleinen Trails im Rangierbahnhof. Wer Zeit und Lust hat, 17:45 ab den den Altglascontainern in der Pasteurstrasse für ca. 1 Stunde.“
Lust?, ja, ich habe Lust, aber 17:45 ist mir unter der Woche einfach zu früh, außerdem hatte ich mir für heute Intervalle verordnet, aber in letzter Zeit laufe ich lieber in Gesellschaft, als strikt nach Trainingsplan.
11:00 Uhr
Der Vormittag entwickelt sich positiv und die Termine sind vor Ihrer Zeit erledigt was bei mir sehr selten vorkommt. Ich schöpfe Hoffnung und sage auf Facebook der Trailrunde zu.
16:00 Uhr
Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben, es kommt wie es kommen musste. Bei einem Routinebesuch bei einem Kunden ist ein hartnäckiges Problem aufgetaucht.
17:20 Uhr
Das Problem ist provisorisch behoben, aber ich stelle fest, dass ich für meine Laufverabredung viel zu spät dran bin.
17:25 Uhr
Überstürzt verlasse ich den Kunden. Noch auf dem Weg zur U-Bahn schicke ich Ludwig eine Nachricht:
„Ich schaffe es nicht, bin noch am Marienplatz. Lauf schon mal los, ich komme auch zur Pasteurstr, vielleicht laufen wir uns ja über den Weg, Sorry“.
17:30 Uhr
Das Glück ist mir hold, wie ich auf den Bahnsteig komme fährt gerade meine U-Bahn ein.
17:45 Uhr
Grußlos stürme ich ins Haus, renne die Treppe hoch, ziehe mich um. Auf der Toilette checke ich schnell die Nachrichten bei Facebook, Ludwig schreibt:
„bin gerade angekommen, warte noch“, „sitze im Auto und muss arbeiten >.<“
17:50
ich sitze im Auto und quäle mich durch den Feierabendverkehr. Laut Naiv solle ich um 18:05 am Treffpunkt sein. -Arg, 20 Minuten zu spät-, ich hasse es wenn ich zu spät komme. An einer der vielen Ampeln diktiere ich per Siri:
„Bin in 5 Minuten da“.
18:08 Uhr
Der Verkehr hat zu den angekündigten 5 Minuten nochmals 5 Minuten oben drauf gepackt. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Ludwig wollte heute früher los, da es für die Trails sonst zu dunkel wird.
18:10 Uhr
Endlich bin ich am Treffpunkt angelangt. Ludwig steht noch im Business Outfit am Auto und telefoniert wild gestikulierend. -das sieht nach Ärger aus-
18:12 Uhr
Fluchend legt Ludwig auf und begrüßt mich. „Gut, dass Du kommst ich wäre sonst nachhause gefahren, ich hab grad so ein Ärger…“. Schnell zieht er sich um und wir starten zu unserer Feierabend Runde. Ohne viel Worte rennen wir in den Wald. Ludwig flucht noch leise vor sich hin. Ansonsten beschränkt sich die Kommunikation hauptsächlich auf Richtungsangaben. Jeder von uns ist noch viel zu sehr mit seinem Tag beschäftigt. Auf flachen Trampelpfaden geht es im Zickzack durch den Allacher Forst. Die Richtung scheint erstmal egal zu sein, Hauptsache Laufen abseits der ausgetretenen Wege. Wir legen ein ordentliches Tempo vor, der erste Kilometer wird deutlich unter 5:00 min gelaufen, man könnte meinen wir sind auf der Flucht.
Ludwig navigiert mich irgendwie querfeldein zum Allacher See, dort geht es ins Unterholz, auf einem schmalen Pfad geht es direkt am Ufer entlang um den See. Am Ostende des Sees verlassen wir den Pfad und passieren die Unterführung unter der B304 . Auf der Schotterstraße geht es hoch zum Damm entlang des Moosacher Rangierbahnhofes. Neben dem Weg befindet sich noch ein erhöhter Wall, mit steilen Flanken, auf den Ludwig jetzt zusteuert.
Kann man da laufen? Das ist doch ein Gebüsch? Von unten kaum sichtbar, schlängelt sich durch die Hecke ein schmaler Pfad. Zum Teil muss man sich unter Ästen ducken. Auf dem schmalen Grat geht es gut zwei Kilometer entlang. Der Wall fällt steil Richtung Gleisanlagen ab. Hier sollte man nicht daneben treten. Alle Sinne sind auf das hier und jetzt fokussiert. Der nächste Schritt, der nächste Anstieg, die nächste Wurzel, das nächste Loch, der Atem, der Puls…, sonst ist nichts.
Wir verlassen den Wall und laufen ein kurzes Stück auf der Schotterstraße bis uns wieder ein Dickicht verschluckt. Hier erwarten uns kurze aber knackige Anstiege, schlängelnde Pfade, Wurzeln und Abstiege bis uns der Trial wieder auf einem breiteren Weg ausspuckt. Wir folgen dem Weg hoch in Richtung Gleisdamm. Dort empfängt uns ein prächtiges Farbenspiel, das der Sonnenuntergang an den Himmel gemalt hat. Nach einem Selfie, soviel Zeit muss sein, geht es zurück Richtung Allacher See. Ludwig will aber noch eine optimalere Wegführung ausprobieren und so laufen wir einen steilen Hang hinunter und umrunden auf einem Trampelpfad den nahe gelegenen Campingplatz, um gleich darauf an der Unterführung der B304 zum Allacher See wieder heraus zu kommen. Da es am Nordufer des Sees schienbar keinen Pfad gibt, laufen wir am Südufer wieder zurück. Allerdings ist es jetzt schon fast zu dunkel um hier überhaupt noch laufen zu können. Unbeirrt rennen wir weiter, ich vielleicht einen Tick langsamer.
Da es für einen Abstecher in den Wald jetzt eindeutig zu dunkel ist, laufen wir auf der Forststraße zurück zum Ausgangspunkt. Erst hier kommen wir dazu uns zu unterhalten. Wir stellen fest, dass wir den Alltag in den letzten 45 Minuten weit hinter uns gelassen haben. Die Last die noch vor einer Stunde auf unseren Schultern lag, wiegt mit etwas Abstand nicht mehr ganz so schwer. Wir konnten in der letzten Stunde unsere Probleme zwar nicht lösen, aber wir haben die nötige Kraft geschöpft um auch morgen wieder die Welt ein bisschen zu retten.
Mit diesem Wissen beenden wir nach 10 Kilometern durch unwegsames Terrain nach 55 Minuten überglücklich unseren Feierabend Lauf.
Jetzt haben wir wirklich Feierabend, das war Abschalten vom Feinsten.
Danke Ludwig, dass Du auf mich 25 Minuten gewartet hast.
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Ludwig hat auf seinem Blog Hale-Hearty.de , den ich jedem Empfehle, der wissen will wie man sich auf eine Triathon Langdistanz vorbereitet, auch den Trail mit GPS Koordinaten vorgestellt, wer also wissen will wo wir uns rumgetrieben haben, bitte hier klicken.