Die Vorzeichen für den 33. Sport Scheck Stadtlauf in München am Sonntag standen eigentlich recht ungünstig. Ich hatte wenig geschlafen, da ich erst um 2:00 Uhr ins Bett kam, und um 6:00 Uhr aufstehen ist nicht gerade eine meiner Stärken. Zudem hat es in Strömen geregnet, als ich das Haus um 7:00 Uhr verlassen habe, um mit der U-Bahn zum Start am Marienplatz zu fahren. Dort angekommen, hat aber der Regen aufgehört, und es sollte auch kein neuer mehr nachkommen. Zum Aufwärmen bin ich locker die Kaufingerstraße hoch bis zum „Stachus“ und wieder runter gelaufen, das muss reichen, schließlich habe ich ja noch 21 km vor mir. Ich begebe mich in meinen Startblock „1:45 – 2:00 Stunden“. Ich habe irgendwie das Gefühl, ich bin der einzige, der sich bei der Auswahl des Startblocks an seiner eigenen (realistischen) Leistung orientiert. Bei 7000 HM Startern, siegt doch bei einigen der Egoismus in der anonymen Masse: „Ach bei mir fällt das ja nicht weiter auf, ich stelle mich mal in die erste Reihe.“
Samstag Nacht, nachdem ich im Tiefflug von Oldenburg nach München gebraust war, checkte ich noch meine HM-Ergebnisse der letzten Jahre, und habe nochmals nach meiner PB geschaut, die ich überraschenderweise im Mai beim Halbmarathon im Olympiapark aufgestellt hatte. 1:49:16, das ist eine durchschnittliche Pace von 5:10 min. Das wird hart, ich glaube nicht, dass ich das beim Stadtlauf wiederholen kann. Der Sport Scheck Stadtlauf durch den Englischen Garten ist nicht gerade Bestzeiten geeignet, da es einfach zu voll ist und es gibt viele enge Kurven. Ich hatte auch nicht speziell für den HM trainiert, und werte daher den Lauf als lange Trainingseinheit im Rahmen meines MT-Trainingsplans. Also beschließe ich mal mit 5:15 zu starten, um dann zu sehen wie es läuft.
Punkt Acht fällt der Startschuss, und es ergießt sich eine orangene Welle über den Marienplatz in Richtung Odeonsplatz, hinein in den Englischen Garten. Der zweite Startblock wird ca. fünf Minuten später auf die Strecke gelassen. Ich befinde mich im dritten Block, aber der scheint nicht nochmals gesondert gestartet zu werden. Ich lasse mich noch vor dem Start etwas zurückfallen und gehe dann um 8:08 Uhr auf die Strecke.
Der erste Kilometer ist gewohnt eng und turbulent, und man muss höllisch aufpassen, dass man nicht über irgendwelche Beine bzw. Absperrgitter stolpert. Die Anzeige meiner Durchgangszeit für den ersten Kilometer verpasse ich auf dem Garmin, müsste aber OK sein, wahrscheinlich zu schnell. Kilometer zwei laufe ich in 5:00 Minuten, also Gas raus nehmen. Die nächsten sieben Kilometer laufe ich konstant in 5:10, ich befürchte schon, dass mein Uhr steht… Aber alles OK.
Die ersten zehn Kilometer vergehen wie im Fluge, keine Schmerzen in den Beinen, alles super. Ich nehme mal vorsorglich einen Gel-Chip, den ich im Mund auflösen lasse. Bei der nächsten Getränkestelle möchte ich die Überreste davon herunter spülen. Aber die Wasserstelle kommt erst bei km 12, da ist schon nichts mehr von dem klebrigen Zeugs übrig. Ich lasse den Verpflegungsstand links liegen und ziehe vorbei. Das Wetter ist ideal, bedeckter Himmel und nicht zu warm, da muss nicht nachgetankt werden. Bestzeitenwetter! Ist da heute mehr drin? Ich beginne zu rechnen… aber ich habe ja gerade mal etwas mehr als die Hälfte hinter mir, also Ball flach halten. Auf Kilometer 14 – 16 breche ich etwas ein. Nach 5:20; 5:30 und 5:36, laufen die nächsten Kilometer dann aber wieder besser. Kilometer 17 laufe ich sogar erstmals unter 5 Minuten. Noch 4 Kilometer, jetzt dran bleiben. Ich kann meinen 5:10er Schnitt über die nächsten Kilometer wieder halten.
-es läuft-
Die Strecke wendet sich dem Ende zu, durch den Hofgarten geht es zurück auf den Odeonsplatz, von dort durch die Theatinerstraße zum Ziel auf dem Marienplatz. Die Straße ist nun gesäumt von Zuschauern, die die Läufer anfeuern, Endspurt ist angesagt. Bei Kilometer 20 ziehe ich das Tempo an, auf den letzen 500 Metern gebe ich dann so richtig Gas. Den letzen Kilometer laufe ich in unglaublichen 3:57 min!
–Z – I – E – L –
1:46:17 !!!
Mein Herz pocht wie verrückt, ist es die Begeisterung, oder die Anstrengung?
Das hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten. TOLL. Und dabei habe ich diese Woche schon 30 Kilometer in den Beinen. Und das Finish zeigt, dass da noch Reserven übrig waren, die ich während des gesamten Laufes überhaupt nicht angerührt hatte. Ja, ich bin wirklich zufrieden…
Gut gelaunt gehe ich nach der Zielverpflegung nach Hause, bereit mich von meiner Familie feiern zu lassen. Ich betrete über die Terrassentüre das Wohnzimmer und rufe:
-Hallo Familie, Euer Laufhero ist zurück…-
Aus dem oberen Stockwerk kräht es nur:
„Gut, dann kannst du ja gleich mal deine Dreckwäsche vom Urlaub raus legen, ich wasche gleich“
-PLOPP – so zerplatzt sie, die Blase der Glückseligkeit.
Herzlich Willkommen, zurück in der Realität!
Und jetzt, zurück zur Tagesordnung.