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„Hunger? Du weißt doch gar nicht was Hunger bedeutet“, das entgegnete gewöhnlich mein Großvater,  wenn bei mir als kleiner Steppke  der kleine Hunger vorbei schaute. Ich durfte mir dann  einen Vortrag über wirkliche Entbehrungen, Krieg und Flucht anhören. Ja, ich muss zugeben ich habe bisher nie richtig Hunger leiden müssen und darüber bin ich sehr dankbar. Mein Opa wäre auch nie auf die Idee gekommen, eine Woche auf feste Nahrung zu verzichten.

Früher hieß das „schlechte Zeit“, heute ist das Wellness.

Dem selbstbestimmten Hungern werden fantastische Wirkungen nachgesagt, es dient der Gewichtsreduktion,  soll entgiftend und entschlackend wirken und auch die Seele kommt nicht zu kurz.  Es sei eine spirituelle Erfahrung,  man finde zu sich selbst und es komme nicht selten zu euphorischen Zuständen, all so Zeugs. Also das mit dem Abnehmen und Entgiften/Entschlacken hat mich jetzt nicht wirklich gereizt, aber gegen so ein paar euphorische Zustände hätte ich nichts einzuwenden.

Tipp: Das Fasten freitags vor dem Wochenende beginnen, so hat man das schlimmste bis Montags überwunden und kann während des Fastens normal arbeiten.

Ich beginne meinen  Entlastungstag (das ist der erste Tag, an dem der Körper langsam drauf vorbereitet wird was da noch kommt, oder besser gesagt , was eben nicht mehr kommt)  mit einem Humpen Glaubersalz zum Abführen.

Ein Kaffee wäre mir jetzt lieber. Ich bin leicht verkatert, da ich am Vorabend noch die Hausbar geplündert habe. Reine Vorsichtsmaßnahme, klar, nicht dass ich während der Fastenwoche in Versuchung gerate.

Fasten ohne Abführen geht nicht. Solange der Darm etwas zum verarbeiten hat, fordert er Nachschub, das bedeutet Hunger. Also muss alles raus. Glaubersalz schmeckt  dermaßen scheußlich dass der Würgereflex  auf Hochtouren arbeitet. Die Alternative zu Glaubersalz ist „der Irrigator“. Ist die Frage was schlimmer ist.

Tipp: Ein Einlauf hört sich furchtbar an, ist aber weniger Schlimm als angenommen. Vorausgesetzt das Wasser ist warm. Diese Prozedur muss alle 3 Tage wiederholt werden.

Zum Frühstück gibt’s ungesüßten Kräutertee und 60 Gramm Wildreis. Für Mittag und Abendessen stehen nochmals 60 Gramm Reis auf dem Speiseplan. Reis ohne alles hat ungefähr so viele Nährstoffe wie ein Blatt Papier, so macht sich  schnell  wieder Hunger breit.  Wenn der Hunger zu  stark wird,  greife ich zur Flasche,  zur Wasserflasche, das lindert den Hunger. Man soll ja während des Fastens  viel trinken, mindestens 3 Liter. Bis abends habe ich locker 5 Liter Wasser weg gegluckert.

Meinen ersten Tag  bringe ich so lala über die Bühne. Ich  komme den ganzen Tag  nicht so richtig auf Touren und bin unkonzentriert, ob das am permanenten Hungergefühl , oder  am vorabendlichen Alkoholabusus  liegt  kann ich nicht sagen.

Tipp: Hausbar besser abschließen, nicht austrinken

Samstags, am Tag 2, muss ich arbeiten, laut Fachliteratur soll man sich jedoch schonen. Mir hilft die Arbeit jedoch mich vom Essen abzulenken. Heute gibt es überhaupt nichts mehr zu Essen. Ich stelle fest,  zu den gewohnten Essenszeiten, wenn ich üblicherweise etwas essen würde, ist es besonders schlimm. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier.

Es gibt unzählige Fastenkuren und eben soviel Literatur darüber. Meine Frau hat aus der Bibliothek zwei Bücher ausgeliehen. Erstaunlich was man übers Fasten alles schreiben kann, geht es doch nur darum nix zu essen.   Von allen Fasten-Varianten hat meine Frau die Hardcore Version extrahiert. Bei uns gibt es nix, nur ungesüßten Kräutertee und Wasser, viel Wasser, und  abends  als Highlight ein Glas Gemüsesaft. Das war‘s.

Der Abend ist ein gefürchteter Fastenbrecher, daher organisiert die Gattin für den Abend einen Kinobesuch. Den Film „Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger“ kann man mit knurrendem Magen auch viel besser nachempfinden.

Tag 3: Ein Glück, es ist Sonntag, ich bin furchtbar müde, ich verbringe die meiste Zeit des Tages im Bett und schlafe oder lese. Damit ich nicht ganz untätig bin, gehe ich Nachmittags mit der Gattin eine runde Laufen.  Sport und Fasten schließen sich nicht aus, es wird sogar empfohlen um den Stoffwechsel anzuregen. Man soll es halt ruhig angehen, z.B. mit Walken. Ich bin jetzt kein Walkingfreund, daher legen wir einfach beim Laufen eine kurze Gehpause ein. Den Rest des Tages verbringe ich weiter im Bett.  So überstehe ich den kritischen dritten Tag.

Tipp: Wer schläft isst nicht.

Tag 4: Nach über 12 Stunden Schlaf starte ich fit in die Arbeitswoche. Dem Fasten wird ja auch nachgesagt, dass man während dieser Zeit ungeheuer produktiv sei. Ich kann das bestätigen, während die Kollegen eine Zigarettenpause,  Frühstückspause , Mittagspause oder sonstige Pausen machen und was futtern, kann man schön was wegarbeiten. So bekommt man während eines Arbeitstages unheimlich viel unter. In der Freizeit kann man sich dann auf so tolle Dinge wie Nebenkostenabrechnungen oder Steuererklärungen stürzen, Hauptsache man muss nicht unter Menschen, unter essende Menschen.

Tag 5: Die Produktivität hält an, aber euphorischen Zuständen habe sich bisher nicht eingestellt. Hunger habe ich keinen, aber Gelüste, also Essensgelüste, keine horizontalen Gelüste. Die Libido befindet sich während des Fastens im Tiefschlaf. Wer möchte sich schon reproduzieren, wenn es nix zu beißen gibt.

Tipp: Die Produktivität beschränkt sich auf geistigem Niveau. Höchstleistungen in anderen Bereichen sind nicht zu erwarten, eher das Gegenteil.

Tag 6: Mittwoch ist Lauftag, auch während des Fastens will ich da keine Ausnahme machen. Ich merke aber schnell, der Akku ist leer, die Leistungsfähigkeit lässt nach 6 Tagen ohne feste Nahrung einfach nach. Bei arktischen Temperaturen bekomme ich gerade mal 8 Kilometer auf den Tacho, acht harte Kilometer. Es fühlt sich an wie die letzten 8 Kilometer beim Marathon.  Wer meine Langstreckentauglichkeit kennt, weiß, Spaß ist das keiner.

Tipp:  Wer noch nie dem Hammermann begegnet ist, trifft den Gesellen nach sechs Tagen Fasten ganz sicher, und das schon auf dem ersten Kilometer.

Tag 7: Noch immer haben sich keine euphorischen Zustände eingestellt, das enttäuscht mich ein wenig. Die Gelüste nach „Geschmack“ werden jedoch immer stärker. Nach 7 Tagen mit Wasser und fadem Kräutertee möchte man endlich wieder etwas schmecken. Man freut sich  auf den abendlichen Gemüsesaft. Gerade der Sauerkrautsaft hat es mir angetan. Vor dem Fasten hätte ich mir nicht träumen lassen, jemals überhaupt Sauerkrautsaft zu trinken. Jetzt freue ich mich darauf wie ein kleines Kind. Mit kleinen Schlückchen wird der Saft langsam  getrunken um möglichst lange etwas von dem Geschmackserlebnis zu haben.

Tipp: ein Glas Sauerkrautsaft am Abend genügt, eine höhere Dosierung führt unweigerlich zu  heftigem Magenrumpeln.

Tag 8, erster Aufbautag: Gebratene Hähnchen fliegen durch die Luft, ich schlendere durch einen Wald aus Dauerwürsten, auf einer Bank aus Knäckebrot lasse ich mich nieder und beiße herzhaft in ein Leberwurstbrot, das ich eben am Wegrand gepflückt habe… „Da ist ja überhaupt kein Senf drauf“,  denke ich und wache auf.  Puh, ein Traum, war das jetzt ein Albtraum?

Jetzt habe ich Hunger, bzw. Appetit auf Leberwurstbrot. Zum Frühstück gibt’s aber nur ein kleines Schüsselchen Haferschleim. Das ist schon mal ein Anfang. Abends gibt’s dann sogar ein Apfel zum Gemüsesaft. –lecker-

Tag 9, zweiter Aufbautag: Ich hatte schon wieder diesen Traum. Ich gehe jetzt gleich mal einkaufen, für das Leben danach. Abends gibt’s zwar kein Leberwurstbrot, dafür aber eine klare Gemüsebrühe (ohne Salz). Man freut sich schon über kleine Dinge.

Tipp: EC und Kreditkarte beim Einkaufen zuhause lassen und nur eine geringe Geldmenge in bar mitführen. Spontankäufe im aneroben Zustand können sehr teuer werden.

Tag 10, letzter Tag: Heute steht wieder Sport auf dem Plan, es soll mit der Tochter zum Skifahren gehen ( ich fastete ja bereits im Januar). Das Frühstück fällt mit einem geriebenen Apfel und Haferschleim schon fast üppig aus. Beim Mittagessen auf der Hütte, sündige ich das erste mal während der 10 Tage. Ich esse den Rest der Käsespatzen, die meine Tochter nicht mehr geschafft hat. Fettige Käsespatzen sind zum Fastenbrechen nicht so dolle geeignet, dementsprechend schwer liegt die Portion im leeren Magen, ich hoffe ich löse keine Lawine aus.

Am Abend gibt’s dann zum Abschluss unserer Fastenwoche  eine Suppe mit Einlage. Ab morgen darf ich dann wieder normal essen.

Während des sonntäglichen Tatorts nicke ich ein und schrecke hoch, als der Verdächtige den Kommissar mit einem Leberwurstbrot bedroht.

Jetzt reicht’s, das muss ein Zeichen sein! Drei Träume die sich um Leberwurst drehen, sind ein klares Signal meines Körpers. Ich darf meinem ausgehungerten Körper diese Delikatesse nicht mehr länger vorenthalten.

-Ich brauche Leberwurst, jetzt sofort-

Ich schmiere mir ein frisches Graubrot mit dick Butter und einer ordentlichen Schicht Trüffel-Leberwurst. Darauf feine Essig Gürkchen und das ganze garniert mit ein paar Spritzern extra scharfem Löwensenf.

-eine Offenbarung-

Jetzt gibt es kein Halten mehr, ich esse bis die Wurst alle ist. Ich könnte gerade weiter machen, gut, dass ich kein Bier im Hause habe. Aber für heute habe ich genug  gesündigt. Nach 10 Tagen gehe ich mal wieder satt ins Bett.

Tipp: Wer fastet um Gewicht zu verlieren, sollte es nach dem Fasten gemächlich angehen lassen. Der Stoffwechsel befindet sich noch im „Hungermodus“. Die zugeführten Kalorien können nach dem Fasten noch gar nicht verarbeitet werden und landen flux wieder an den Problemzonen.

Und? Würde ich nochmals fasten? Euphorische Zustände haben sich nicht eingestellt, nur seltsame Leberwurst-Träume. Dennoch war das Fasten eine interessante Erfahrung. Es ist erstaunlich wozu der  Körper in der Lage ist, bzw. wie er sich auf äußere Bedingungen einstellt und sich anpasst. Für mich war das Fasten eine große mentale Herausforderung, den vielen Verlockungen, die überall dort draußen lauern, zu widerstehen. Es gehört schon eine gewisse Willensstärke dazu, 10 Tage auf alles zu verzichten, und nicht aufzugeben auch wenn es hart wird. Dieser Wille hilft mir vielleicht bei meinem nächsten Marathon, wenn es mal wieder etwas härter wird.