Metamorphose

Mittwoch, Oktober 26, 2011

Es ist seltsam, Augenblicke liegen so dicht beieinander, aber Sie könnten gegensätzlicher nicht sein.

Gut zwei Wochen ist es jetzt her, dass ich den München Marathon gefinisht habe.  Mit dem Zeitpunkt des Überquerens der Ziellinie, setzte sich unbemerkt ein Prozess in Gang, der mich innerhalb einer viertel Stunde verwandeln sollte. Von der Krönung der Schöpfung, so fühlte ich mich jedenfalls, verwandelte ich mich zurück zu, zu, ???, was hat keine Knie, und bewegt sich langsam? … -hm-

Ich mutierte vom Athleten, wobei dabei offenbar einige Evolutionsstufen und Gattungen übersprungen wurden, direkt zur Schnecke.

Die Metamorphose war bereits abgeschlossen, als ich noch auf dem Rasen des Olympiastadions lag. Das Adrenalin, das die letzten vier Stunden durch meine Adern sprudelte, und die Schmerzen betäubte, muss mit den zwei Weißbieren förmlich aus meinem Körper geschwemmt und  im Rasen der Arena versickert sein. Das Aufstehen viel mir schon sichtlich schwer. Ich konnte nicht einfach aufstehen, ich wälzte mich  wie eine Robbe zur Seite (noch ein Kriechtier), um dann auf alle Viere zu kommen, um mich dann unter Schmerzen langsam aufzurichten. Gemächlich bewegte ich mich Richtung Ausgang, den der Veranstalter in Form einer steilen Stadiontreppe gestaltet hatte.

An einer Verpflegungsstation holte ich mir noch zwei Brezen. Hunger hatte ich keinen, ich leckte lediglich das Salz vom Gebäck, um während des  Aufstiegs nicht durch Muskelkrämpfe gepeinigt zu werden. Stufe für Stufe erklomm ich den Rand der Salatschüssel.

Ich war nicht der Einzige, der mit der Treppe zu kämpfen hatte, gestandene Mannsbilder saßen mit Tränen in den Augen auf den Stufen und pressten Ihre krampfenden Gliedmaßen gegen Geländer und Pfosten.

-Welch Ironie, da rennt man um ganz München, und scheitert dann an einer Treppe-.

Treppen sollten auch in den nächsten Tagen meine ganz persönliche Herausforderung sein.

An der Kleiderbeutelausgabe angekommen, blickte ich mich um, ob der Veranstalter vielleicht Zivis bereitgestellt hatte, die mir beim Umkleiden behilflich sein könnten, aber da war niemand der mir in die Trainingshose geholfen hätte.

Zuhause angekommen, hatte meine Familie Gnade mit mir, es stand kein Ausflug in die Berge auf dem Programm und ich brauchte mich auch nicht an der Gestaltung des Sonntagnachmittags zu beteiligen. Ich legte mich einfach nur ins Bett und wollte etwas Schlafen, hatte ich ja die letzte Nacht damit zugebracht mir Horrorszenarien auszumalen wie ich mit wehenden Fahnen beim München Marathon unter gehen werde.

Aber auch am Nachmittag konnte ich nicht schlafen, vor lauter Schmerzen lag ich wach und wusste nicht wie ich mich hinlegen sollte.

Für den nächsten Tag, rechnete ich zudem mit einem höllischen Muskelkater, aber da war nix. Möglich, dass die  Schmerzen im Knie die restlichen Schmerzen in den Beinen überdeckt haben. Sowas soll ja vorkommen.  Ich konnte jedenfalls zwei Tage keine Treppen laufen, was in unserem Eichhörnchenhaus etwas problematisch ist. In München wird angesichts der horrenden  Quadratmeterpreisen die Wohnfläche einfach übereinander gestapelt, mit dem Ergebnis, dass wir sozusagen in einem „Treppenhaus“ wohnen. Da überlegt man sich in seinem ramponierten Zustand gut, ob man mal eben in den Keller geht, um sich noch ein Bier zu holen…

Die folgenden zwei Tage nutzte ich rege das Angebot von Aufzügen und Fahrtreppen.  Ab Mittwoch konnte ich mich wieder wie gewohnt bewegen ohne bei  jedem Schritt zu stöhnen. Am Samstag gönnte ich mir dann wieder die erste Laufeinheit über 9km, nur die Wade zwickte dabei noch ein wenig.

Im Grunde rechnete ich jedoch in der „Woche danach“, mit wesentlich schwerwiegenderen körperlichen Ausfällen, ich rechnete damit, zumindest müde, bzw. groggy zu sein, aber da war nix, ich sprühte förmlich vor Energie.

Diese Energie wurde dankbar von meiner Arbeit aufgesogen. Wie ein Tsunami brach ab Montag die Arbeit über mich herein. Aber es war kein Problem ich lächelte und nahm die Aufgaben an. Drohte die  Arbeit auszugehen nahm ich Dinge in Angriff die ich schon lange vor mir herschob.

Ein Teil der Energie konnte ich auch in den Freizeitsektor retten. Meine Frau zweifelt jedoch nun ernsthaft  an meiner Zurechnungsfähigkeit und spielt mit dem Gedanken mich Entmündigen zu lassen. Als ich letztens zum Einkaufen geschickt wurde, da eine Zutat zum Geburtstagskuchen der Tochter fehlte, kehrte ich vom Discounter mit einer Gitarre zurück. „War im Angebt, ich wollte schon immer mal Gitarre lernen“ strahlte ich.

Bis auf weiteres, bekomme ich nun, nur noch abgezähltes Geld mit zum Einkaufen, und zu Metro darf ich eh schon lange nicht mehr alleine …

13 Comments

  1. Evchen sagt:

    „Be bäooooo, be bäobäbäbäobäbäbäooooo….“ Der wichtigste Akkord ever! Na, welcher ist es?
    Nothing else matters… Das ist wirklich der erste Akkord, den ich auf der Klampfe gelernt habe, aber ich finde die Doppeldeutigkeit gerade, wo ich sie schreibend erkenne, gar nich mal so übel, lasse das so stehen und wirrrken.

    1. timekiller sagt:

      Ich versuch mich noch mit „Smoke on the water“.
      Mit viel Fantasie kann man es auch schon erkennen 😉

      -soundkiller-

  2. Sinusläufer sagt:

    Wie genial! *lach* Eine Gitarre gehört ja auch in jeden guten Haushalt. 🙂

    1. timekiller sagt:

      Genau so sehe ich das auch. Und dabei hatte meine Frau (und die Nachbarn) noch Glück, die hatten auch E-Gitarren…

  3. Supermario72 sagt:

    Hahaha – das war mal wieder ein Artikel in bester Timekiller-Manier! Herrlich!

    Aber Klasse – dass Du den Marathon so gut verdaut hast! Da zeigt, dass Du in guter Form bist.

    Und jetzt also Gitarre vom Aldi – soso! Kannst Du denn überhaupt spielen? 😉 Ansonsten mußt Du das Geld für den Unterricht mit Flaschensammeln verdienen ….

    Aber wie geht es denn jetzt sportlich weiter? Noch etwas geplant in diesem Jahr? Einen 10er vielleicht? Wintersaison?

    Grüße aus Köln!
    Mario

    1. timekiller sagt:

      Ne, spielen kann ich eben noch nicht. Ich kann gerade mal Noten lesen, das wars dann aber auch schon. Meine bisherige musikalische Karriere kam bereits im Kindesalter, nach dem erlernen der Melodika (das wohl blödeste Instrument überhaupt) zum erliegen.

      Tja, und sportlich? Ich will diese Jahr nix großes mehr reißen, ich mache noch bei einem Crosslauf im November und dem traditionellen Nikolauslauf bzw. bei der Winterlaufserie mit. Bestzeitenambitionen habe ich jetzt keine. Mal sehen was geht.

      Ich werde auf jeden fall keine Lauf(winter)pause einlegen, sondern wie die letzten Jahre den Winter durchlaufen.

      Grüße nach Köln.
      vom
      -timekiller-

  4. Gerd sagt:

    Ja so einen Marathon bekommt man nicht geschenkt! 😉

    1. -timekiller- sagt:

      Ja, da hast du Recht. Bin gespannt wie es Dir am Wochenende in Frankfurt ergeht, wobei, für dich wird das ja ein Spaziergang nach dem Churfrankenlauf…

      Grüße und viel Spaß in FRA

      -timekiller-

  5. Henrik sagt:

    Klingt alles ganz normal für die Zeit nach dem ersten Marathon ;). Gestandene Männer, die an Treppenstufen scheitern – so muss es sein, wenn man wirklich ALLES gegeben hat.

    Da du ja kein großartiges Winterprogramm hast: ich werde im Dezember wieder einen Isar-Trainingsmarathon laufen. Hast du Lust, mitzulaufen? Easy going, kein Wettkampftempo, Start an der Grünwalder Brücke, Ziel ist Freising oder Flughafen.

    1. timekiller sagt:

      Hallo Henrik,

      wenn es zeitlich passt, und ich Dir nicht zu langsam bin, würde ich mich sehr gerne anschließen. Ich habe letztes Jahr deinen Lauf mit Interesse verfolgt, und bin dieses Jahr auch einen Streckenabschnitt davon (Chinaturm – Garching und zurück) gelaufen.

      Melde Dich einfach mal per Mail.

      Grüße -timekiller-

      1. Ja klasse! „Zu langsam“ geht gar nicht im Tiefschnee :). Ich melde mich.

  6. Simon sagt:

    Herrlich 🙂
    Ging mir bei meinem ersten Marathon genauso.
    Am Tag danach musste ich mich im Flur mit beiden Händen an den Wänden abstützen und hab dann meinem Cheffe klar gemacht, dass ich es nicht ins Büro schaffen werde.

    1. timekiller sagt:

      Tja, da stößt man nicht immer auf Verständnis, jedenfalls außerhalb der Laufgemeinde erntet man da meist nur Kopfschütteln.

      Grüße -timekiller-

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