Ich kann mich nicht erinnern wann ich das letzte Mal derart nervös war, wie vor meinem Marathondebüt am vergangen Wochenende in München. Irgendwann, vor langer, langer Zeit setzte ich mir mal das Ziel einen Marathon unter 4 Stunden laufen zu wollen. Da ich zu diesem Zeitpunkt mal einen HM in akzeptabler Zeit ins Ziel gebracht hatte und total stolz war, dachte ich mir recht naiv, ein MT kann ja nicht so schwer sein, läufst du halt ein bisschen weiter.
Während meiner MT Vorbereitung ab Juni, stellte ich dann jedoch sehr schnell fest, dass einfach ein bisschen weiter, gar nicht so easy ist. Gerade die langen Einheiten (auf die es ja ankommt) bereiteten mir gehörige Schwierigkeiten. Somit stand das Ziel Sub4 doch schwer in Frage, und wurde von Selbstzweifeln getrieben, schrittweise mit neuen Zielen ersetzt
A) Ankommen, egal wann.
B) Ankommen vor Zielschluss
C) Ankommen, ohne Gehpausen
Ja, das soll mein Ziel sein, Ankommen ohne Gehpausen, dann sollte die Zeit auch nicht ganz unterirdisch werden. Aber nervös war ich immer noch, die gesamte letzte Woche war ich nur schwer für meine Mitmenschen ertragbar. Ich war ja total gaga.
Mein Marathon Wochenende begann Freitagabend. Ich habe meine Freitagstermine abgewürgt um noch kurz vor Schluss meine Startunterlagen auf der Marathonmesse abzuholen und um meinen Vorrat an High5 Gels aufzufüllen. Da musste ich den ersten Rückschlag erleiden. Mein High5 Dealer war dieses Jahr nicht auf der Messe, ich konnte es gar nicht glauben, ich habe zweimal die Räumlichkeiten durchkämmt, aber er war nicht zu finden.
-Waaah-
Somit geriet ich in die Fänge des Squeezy-Dealers.
Auf meine Frage, ob man deren Gele auch ohne Wasser einnehmen kann, handelte ich mir einen 30 minütigen Vortrag über „das Wesen des Gels und seine fachgerechte Anwendung“ ein.
„Selbst bei einem Trinkgel (und so was wollte ich) muss man zusätzlich trinken!“
Ich hatte jetzt nicht vor, den Marathon komplett trocken zu laufen, ich will die Dinger ja nur weil sie aufgrund ihrer Konsistenz nicht ganz so eklig sind. -Aber OK, texte mich zu, ich habe heute nix mehr vor-
Wobei ich ja durchaus bei der Wasseraufnahme in der Vergangenheit so meine Probleme hatte, aber dies sollte ja mit Hilfe meines Trinkhalms am Arm nun der Vergangenheit angehören.
Ich erfahre, dass es von Squeezy das „einzige“ Trinkgel gibt bei dem man nicht innerhalb der nächsten Stunde etwas trinken muss. Allerdings sind die Gele mit 160 ml fast so groß wie ein Tetrapack. Wenn ich mir die an den Gürtel schnalle, laufe ich Gefahr diesen samt Hose zu verlieren.
Notgedrungen habe ich dann eben ein 10er Pack von den normalen Gels mitgenommen.
Den Samstag habe ich irgendwie rum gebracht. Wie ein Tiger im Käfig zog ich durchs Haus, vor lauter Nervosität habe ich einen Streit mit meiner Frau vom Zaun gebrochen, ich weiß nicht mehr worum es ging, aber ich hatte sicherlich unrecht.
Ich machte mir Sorgen ums Wetter. Herrschten letzes Wochenende noch sommerliche Temperaturen, wird im aktuellen Wetterbericht vom Wintereinbruch in Bayern berichtet. Und der –timekiller- friert nicht gerne. Ich checke stündlich die Wetterprognosen für Sonntag, die Prognosen werden dadurch aber nicht besser. Den ganzen Tag schütte ich Spezi, Rivella, alkoholfreies Weißbier in mich hinein. Wenigstens meine Flüssigkeitsspeicher sind gefüllt, daran wird es also morgen nicht scheitern.
Sonntag früh, ich bin lange vor dem Wecker wach, der seinen Dienst um 6:00 Uhr antritt. Ich grüble noch über meine Renntaktik.
Prio1: Ankommen,
Prio2: keine Gehpausen,
Prio3: Sub4 ?
Um eine Sub4 zu schaffen müsste ich einen konstanten Schnitt von 5:40 laufen. In meinen Vorbereitungsläufen war ich meist auf den ersten 20km schneller und bin hintenraus eingebrochen.
Ich will es dennoch versuchen, ich hänge mich einfach an den 4er Paceläufer und versuche solange dran zu bleiben wie es geht. Muss ich abreißen lassen, tritt Prio2 in Kraft, dann Prio1. So lautet mein Plan.
Endlich darf ich aufstehen, als erstes checke ich das Außenthermometer: 3 °C, –brrr-
Zum Frühstück gibt’s 3 Toastbrote mit Honig, und einen Kaffee (sonst werde ich nicht wach). Um 8 Uhr checke ich nochmals das Thermometer, „4 °C“ –zumindest wird es nicht kälter-
Ich stelle mir die Frage, ob ich lang oder kurz laufen soll. Ich beschließe ein Mann zu sein und ziehe die knielange Tight und ein kurzes T-Shirt an. Im Schlafzimmerschrank krame ich ganz unten einen alten Pulli raus, der so schrecklich ist, dass ich ihn gerade einmal getragen habe. Der Pulli hat ein derart grausames Muster, dass ich ihn Bewusst links anziehe. Über das Ensemble ziehe ich eine lange Trainingshose und eine Winddichte Laufjacke. So begebe ich mich um 9:00 Uhr mit dem Fahrrad zum Olympiastadion.
Vor der Kleiderbeutel-Abgabe ziehe ich mich um. Es ist noch immer kalt, ich beschließe den Ätz-Pulli bis zum Start anzulassen, um ihn dann vom Reinigungskommando entsorgen zu lassen. – hoffentlich erkennt mich jetzt niemand-
Vom Olympiastadion zum Start an der Ackermannstraße sind es gut 1500 Meter. Ich nutze den Weg, um mich locker einzutraben. Der Start ist in zwei Startblöcke unterteilt, Block A – bis 3:45h und Block B – ab 3:45h. Die Entfernung zwischen beiden Blöcken sind gute 300 Meter. Vom Block B aus kann man den Start noch nicht mal sehen. Ich bleibe trotzdem hier. Das unbeschreibliche Erlebnis, von 5000 Läufern überholt zu werden möchte ich mir ersparen. Ich halte Ausschau nach den 4:00h Pace-Läufern. Ich entdecke eine ältere Dame mit großem gelbem Ballon, auf dem mit Edding eine 4:00 geschrieben steht. Ich pirsche mich an die Dame ran, die schon von einer Läufertraube umringt ist. Bereitwillig gibt sie auf alle Fragen Auskunft. Die Frau ist bereits über 60 Marathons gelaufen. Sie erzählt, dass sie einen konstanten Schnitt von 5:40 laufen will, und dass sie bei jeder Wasserstelle etwas trinken wird.
Etwas entfernt sehe ich noch einen weiteren 4:00h Pace-Läufer mit gelbem Luftballon. Ein junger Kerl, auf seinen Laufsocken steht allerdings 3:45. Ich frage Ihn ob seine Socken vorgehen, oder ob er tatsächlich der 3:45h Läufer ist. Er erklärt mir, dass er heute früh seine 4:00 Socken nicht gefunden hat. Die 3:45 sind noch vom letzten Wochenende da war er Paceläufer in Köln.
-Zwei Marathons innerhalb einer Woche, der ist ja total irre-
Man unterhält sich nett, er möchte auf der ersten Hälfte einen kleinen Puffer rauslaufen, weil er unterwegs mindestens einmal in die Büsche muss. Ab km 37 möchte er dann das Tempo rausnehmen. Aha, denke ich. „Pufferrauslaufen“ wollte ich eigentlich nicht. Daher beschließe ich eingerahmt von den Paceläufern zu laufen.
Amüsiert beobachte ich noch, wie ein älterer Herr, eine Rolle Papier, groß wie eine Tapete, an seinem Armgelenk zu befestigen versucht. Seine Kilometerzeiten (Font 14), klärt er mich auf, und zwar alle 42. Ich hingegen, habe mir auf der Marathonmesse am Asics Stand ein kleines Sub4 Armbändchen ausdrucken lassen, das reicht mir vollkommen.
Um 10:00 Uhr wird der Startblock A von den Feldmochinger Böllerschützen auf die Strecke geschickt. Der Startblock B wird 10 Minuten später gestartet. Beim aufrücken falle ich etwas hinter die Paceläufer zurück, da ich feststelle, dass mein Schuh etwas zu locker sitzt und ich nachzurren muss.
-Peng- bzw. –Böller-
Foto: René Rosin/München
Jetzt geht’s auch für mich los. Im anfänglichen Gewimmel versuche ich erstmal nicht zu stolpern, und versuche von Anfang an, mein Tempo von ca. 5:40 zu halten. Bei km 2 habe ich bereits die 4:00h Paceläuferin wieder eingeholt und gehe an Ihr vorbei. Weit vor mir sehe ich den Ballon des „Pieslers“. So, in dem Korridor möchte ich die nächsten 40 km verbringen, das wäre perfekt.
Die ersten Kilometer laufen gut, ich bin natürlich wieder ein bisschen schnell, die Euphorie treibt einen voran. Nach 5 km kommt auf der Leopoldstraße schon die erste Wasserstelle. Diese lasse ich noch aus, bei der nächsten wird getestet ob das mit meinem Strohhalm klappt. Ich bin erstaunt wie schnell die Kilometerschilder aufeinander folgen. Schnell habe ich die nächste Verpflegungsstelle erreicht. Ich schnappe mir einen Becher vom Tisch, ziehe den Strohhalm aus dem Armband und fixiere den Halm mit einem Finger im Becher. Ohne Problem kann ich während dem Laufen trinken. Das Seitenstechen bleibt aus. Prima!
Mittlerweile bin ich im Englischen Garten angekommen, es läuft gut. Die Strecke schlängelt sich auf einem schmalen Weg ca. 7 km durch Münchens beliebtesten Park, ich bin ein Grasnabenläufer und komme so ohne große Überholmanöver gut durch den Park. Ich laufe eine ganze Zeit gleichauf mit zwei jungen Frauen, die sich fortwährend unterhalten. Unglaublich was die sich alles zu erzählen haben. Ein Mann nestelt an seiner Startnummer rum und studiert die auf der Rückseite abgedruckte Karte.
„Na, haben wir uns verlaufen?“ frage ich.
„ Ne, wir sind wohl Richtig, aber meine Frau steht mit dem Spezialgetränk an der falschen Stelle.“
„Na, die wird sich wundern, dass da heute überhaupt keiner vorbei kommt“
Nachdem man den Park verlassen und die Isar überquert hat, kommt bei km 16 die einzig nennenswerte Steigung. Ich kann meinen Schnitt auf dem „Bergkilometer“ jedoch halten und nehme bei km 17 mein erstes High5 Trinkgel (zwei hatte ich noch). Passend zur meiner ersten Mahlzeit wird dazu am Straßenrand von einer Familie Weißbier in Bechern angeboten. Mich würde interessieren wer da zulangt. Glühwein würde bei den Temperaturen vielleicht besser ankommen.
Es nähert sich die HM Marke, ich blicke auf mein Armband, noch liege ich gut im Soll. Aber seit km 20 verspüre ich ein leichtes Zwicken in der rechten Wade. Ich versuche zunächst den Schmerz zu ignorieren, und versuche etwas lockerer und langsamer zu laufen, die letzten 6 km bin ich jeweils unter 5:30 gelaufen, das ist ohnehin viel zu schnell, wenn ich ankommen möchte.
Ich nehme nun an jeder Verpflegungstelle Wasser zu mir. Die Strecke ist von km 21 – 28 ziemlich ätzend, es geht durch Gewerbegebiet und langweilige Wohngebiete. Erst ab dem Rosenheimer Platz wird die Strecke wieder interessanter, und auch die Zuschauer am Straßenrand werden wieder mehr.
Meine Wade zwickt noch immer, langsam mache ich mir sorgen, es sind noch gut 14 km. Die Schmerzen lassen sich nun auch nicht mehr ignorieren, gut dass jetzt der Schöne Teil des Marathons beginnt.
Foto: René Rosin/München
Es geht über die Isar, am Deutschen Museum vorbei zum Isar Tor, durchs Tal, über den Marienplatz, am Rindermarkt entlang zum Sendlinger Tor und wieder zurück zum Marienplatz. Die Stimmung puscht mich auf unglaubliche 5:06 auf meinem zweiunddreißigsten Kilometer. Es geht weiter durch ein Spalier an Zuschauern an der Feldherrenhalle vorbei über den Odeonsplatz auf die Leopoldstraße, dem Olympiastadion entgegen.
Bei km32 zweigt die Strecke allerding nochmals von der Leopoldstraße zu einer 5 km Schleife durch die Maxvorstadt ab. Es geht vorbei an Pinakothek, Uni, Karolinenplatz und über den Königsplatz.
Foto: René Rosin/München
Kurz nach dem Königsplatz ist der 35km geschafft. Ab nun betrete ich Neuland. Ich bin zuvor nie weiter gelaufen. Ich rechne nun minütlich mit dem Hammer-Mann. Irgendwann muss er ja kommen. Aber noch geht es mir gut. –erstaunlich-
Es geht zurück auf die Leopoldstraße, am Siegestor vorbei. Wie ich von der Leopoldstraße in die Franz-Josefstraße abbiege, bietet sich mir ein Anblick der Erschöpfung. Hier muss gerade der Mann mit dem Hammer durchgekommen sein. Und er hat ganze Arbeit geleistet, die Zahl der Fußgänger hat massiv zugenommen und am Straßenrand sitzen erschöpfte Läufer. Die Zuschauer werden weniger, von hier aus hat man nun einsame 4 Kilometer Richtung Stadion vor sich.
Foto: René Rosin/München
So langsam setzt auch mir die Strecke zu, wäre ja auch gelacht gewesen. Ich werde langsamer, ich schiele auf die Uhr, habe ich da eine 6:xx gesehen? Ahh, wird das jetzt doch noch knapp? Die Sekunden verrinnen, und die Wade schmerzt.
Es kommt die letzte Verpflegungsstelle, ich nehme nochmals ein Becher Iso zu mir. Die Verkehrsinsel die hier mitten in der Straße rumsteht stellt mit seinem hohen Bordstein ein wirkliches Hindernis dar, vielleicht sollte ich doch lieber drum rum laufen. Noch gut zwei Kilometer dann habe ich es geschafft. Ich biege in die Ackermannstraße ein, von dort bin ich vor gut vier Stunden gestartet, dann geht es in den Olympiapark. Hier kenn ich mich aus. Ich bin daheim, ich bring das Ding jetzt nachhause, ich verspüre den zweiten Atem, oder ist es gar der Dritte? 1200 Meter vor dem Ziel mobilisiere ich all meine Reserven, Zeit die –timekiller-Rakete zu zünden. Ich ziehe fast leichtfüßig an wankenden Gehern vorbei. Durch das Marathontor geht es in das Olympiastadion. Hier ist lächeln für die Fotografen angesagt, dann geht es zur Schlussrunde auf die Tartanbahn. Ich habe schon schnellere Zielsprints hingelegt, aber nach 42 km sind keine Wunder mehr zu erwarten. Die Muskeln sind absolut leergesaugt. Ich spüre wie die Waden kurz vorm krampfen sind, schneller geht nicht mehr, jetzt kann ich nur noch Haltungspunkte sammeln, auf die letzten 50 Meter ist Tribühnenschritt angesagt.
-ZIEL-
-3:57:51-
Unfassbar, ich habe es geschafft, ich bin angekommen, ohne Gehpausen, und dann auch noch unter vier Stunden !!!
Kullert mir da gerade eine Träne über die Wange? Kommt wahrscheinlich von der schmerzenden Wade. Wenn mich jetzt jemand anspricht wimmere ich los wie Sebastian Vettel bei seinem ersten WM Sieg 2010.
Ich gehe Richtung Erdinger Weißbierstand, und lass mir feierlich meine Medaille umhängen.
Foto: René Rosin/München
Mit zwei Weißbier und einer Plastikfolie suche ich mir ein freies Plätzchen auf dem Rasen. Schon beim hinsetzen ahne ich, dass ich sehr lange brauchen werde bis ich hier wieder hochkomme.
Ich liege auf dem Rasen und bin einfach nur G-L-Ü-C-K-L-I-C-H.
Es scheint zwar die Sonne aber nach einiger Zeit fange ich an zu frieren. Jetzt muss ich nur noch die verflucht steile Stadiontreppe hoch zur Kleiderbeutelausgabe kommen, aber jetzt habe ich ja Zeit.
Erstaunlicherweise bin ich gleich 43km gelaufen 😉